Geschichte der Stickerei (#1) – Suzhou Stickerei

Servus, liebe Stickfamilie!

Jössas, ich hab ein Video gefunden, das mir den Stickteppich unter den Füßen weggezogen hat! Wir sind ja gerade in der Schwebe zwischen unserem Silvester und dem chinesischen Neujahr, also dachte ich mir: der perfekte Zeitpunkt, um sich ein bisserl der chinesischen Stickkunst zu widmen. Und siehe da, dieses Video taucht auf und raubt mir den Atem:

Vorne ein Hunderl und hinten ein Afferl – diese sogenannte „doppelseitige Suzhou Stickerei“ hält, was sie verspricht. Kein verworrenes Muster aus Knoten, Fuseln und Fäden, sondern gleich zwei Stickereien zum Preis von einem! Meine Kollegin Ying Yue hat meine Begeisterung natürlich gleich zum Anlass genommen, mir mehr über Suzhou zu erzählen.

Suzhou

Das „Venedig des Ostens“

Suzhou (in der Provinz Jiangsu) wurde vor rund 2.500 Jahren gegründet und ist rund 100km von Shanghai entfernt. Mit einem Schnellzug also eine Entfernung von rund 1,5h. Viele Touristen haben die traditionellen und modernen Seiten der Stadt auf YouTube festgehalten, aber die Einwohner von Suzhou und ich sind uns einig: Suzhou ist im 21. Jahrhundert zwar auch als Knotenpunkt von High-Tech-Firmen interessant, aber der wahre Charme der Region ist immer noch in die unzähligen Seidenfäden der Stadt am Kanal geflochten.

Die Seidenhochburg

Die Suzhou-Stickerei (alternativ: „Su-Stickerei“, su xiu 苏绣) ist eine der vier wichtigsten chinesischen Schulen der Stickerei (Su, Shu, Xiang, Yue) und Seide hat von Anfang an eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung dieser Stickereischulen gespielt. Die ältesten Seidenfunde in China stammen aus dem Zeitraum 5.000 – 6.000 v. Chr. und bereits in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen (722 – 481 v. Chr.) wurden in der Region Jiangsu Kleidung und Haushaltsgegenstände bestickt. Nachdem die mongolische Herrschaft der Yuan-Dynastie in China im 14. Jahrhundert von der Ming-Dynastie (1368 – 1644) abgelöst wurde, wurde Suzhou zu einer Hochburg der Seidenproduktion. Sehr viele Familien züchteten selbst Seidenraupen und ihre Stickarbeiten wurden so detailliert, dass man sie als „Nadelmalereien“ bezeichnete.

Die Stadt der Stickerei

In der darauffolgenden Qing-Dynastie (1644-1912) erhielt Suzhou die Gunst des Königshauses und damit offiziell den Titel der „Stadt der Stickerei“. Es wurden Königsroben und Wandteppiche gefertigt (auch mit der sogenannten „Kesi“ -Webtechnik) und außerhalb der strengen Tradition wurden die zarten Linien, akribischen Designs und dünnen Nadeln von Suxiu sowohl durch westliche und japanische Einflüsse, als auch durch neue Materialien, wie u.a. metallisch-glänzende Fäden aus Wolle, Nylon oder Gold, immer vielschichtiger. Zu dieser Zeit wurde auch die „doppelseitige“ Stickerei entwickelt, in der auf einem besonders dünnen, beinahe oder ganz durchsichtigen Seidentuch auf beiden Seiten in Spiegelbildern gestickt wird. Das ist technisch sehr herausfordern, weil in zwei Schichten gearbeitet und jeder Knoten überstickt werden muss. Noch herausfordernder ist es natürlich, gleich zwei unterschiedliche Bilder zu sticken, wie in dem Video!

Im Laufe der Zeit wurde Suxiu immer komplexer. Aus 10 wurden 40 individuelle, komplexe Sticharten (u.a. xixiu 细绣) und heutzutage werden mehr als 300 Farbtöne und 1000 Arten von Fäden verwendet. Es ist besonders wichtig, dass diese Fäden so dünn sind wie möglich. Sehr oft werden Fäden so dünn wie Menschenhaar noch weiter gespalten. Die Suzhou-Stickerin Jinzhen Gu kam sogar ins Guinness-Buch der Rekorde, weil sie einen Seidenfaden innerhalb von 3 Minuten in 96 dünnere Fäden spalten konnte!

Die Vergangenheit lebt

Als Abschluss möchte ich euch noch das Suzhou Stickerei-Museum in der Jingde-Straße 262 in Suzhou empfehlen. Es wurde 1986 gegründet und befindet sich direkt neben dem Suzhou Embroidery Research Institute (SERI), welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, die alten Künste am Leben zu erhalten – und das ist mir (als alte Kunst) natürlich ein besonderes Anliegen.

Yao Huifen – eine der 8.000 StickerInnen, die mithilfe der Regierung das Handwerk an die nächste Generation weitergeben – und ihre Tochter (links).

Falls ihr Lust darauf bekommen habt, selbst eine Suzhou-Stickerei zu besitzen – im Internet gibt es verschiedene Anbieter. Und wir auf der Stickinsel freuen uns natürlich auch über jede neue Bestellung! Wie wär‘s zum Beispiel mit einem entspannten Pulli? Perfekt, um im Internet wieder einmal etwas Neues zu lernen.

Pfiat euch und passt‘s auf euch auf,
eure Stick-Omi Otti

(Für Stick-Streber und Weiterleser:

  1. http://www.suembroidery.com/embroidery_blog/article/13-01/suzhou_silk_embroidery_museum.html
  2. https://www.chinadaily.com.cn/life/2012-11/15/content_15933182.htm
  3. http://www.chinatourguide.com/suzhou/suzhou_embroidery.html
  4. https://asia.si.edu/learn/for-educators/teaching-china-with-the-smithsonian/videos/suzhou-embroidery/
  5. http://www.xinhuanet.com/english/2019-06/20/c_138157169_2.htm
  6. https://www.artofsilk.com/blogs/news/7987881-what-is-su-embroidery-the-history-of-suzhou-silk-embroidery-art#.YA2iKi14Xmo
  7. https://www.chinarundreisen.com/china-info/vier-beruehmte-stickereien-in-china.htm)
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