Geschichte der Stickerei (#2) – Der Teppich von Bayeux

Servus, liebe Stick-Familie!

Holt’s euch einen Tee, kuschelt’s euch unter die Decke und macht’s es euch gemütlich – heute reden wir über den Teppich von Bayeux. Letztes Mal habe ich euch von der beeindruckenden Suzhou-Stickerei erzählt, bei der auf beiden Seiten spiegelverkehrte oder sogar unterschiedliche Bilder gestickt werden. Und heute geht es um ein anderes wichtiges Stick-Erbe – aus einer ganz anderen Zeit, Region und Kulturgeschichte.

Der sogenannte Teppich von Bayeux befindet sich heutzutage in (wer hätte das gedacht?) Bayeux, in der Normandie von Frankreich. Wie auch Suzhou ist Bayeux eine bezaubernde Stadt, die von Kanälen durchzogen ist (…und ich frage mich langsam: gibt es einen unerforschten Zusammenhang zwischen Kanälen und Stickerei?). Im Jahre 1983 wurde hier das „Centre Guillaume-le-Conquérant“ errichtet, sodass Besucher den Teppich in einem geschützten Umfeld bewundern können. Ein ganzes Museum für einen Teppich? Allerdings. Der Teppich ist ja auch 68 Meter lang.

Ein fragiles Wunder

Es ist ein Wunder, dass der Teppich überhaupt noch erhalten ist. Die Stickerei wurde zwischen 1050 und 1100 gefertigt und ist damit selbst für meine Verhältnisse eine Geign. Im Jahr 2018 verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron, dass Frankreich England den Teppich für einen gewissen Zeitraum leihen würde. Da der Teppich eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Frankreich und England darstellt, waren Diplomaten davon natürlich begeistert – Kunsthistoriker jedoch eher panisch. Der Teppich soll 2022 geliefert werden und bis heute ist unklar, wie er am besten verpackt werden soll, damit er die Reise übersteht.

(https://www.bbc.com/news/uk-42722679)

Bescheidenheit ist eine Zier

Auch wenn er weithin als „Teppich“ bekannt ist, ist er tatsächlich eine Stick-, und keine Knüpfarbeit. Der Sage nach schufen Königin Mathilde von Flandern und ihre Hofdamen den Wandteppich zu Ehren Wilhelms des Eroberers, Mathildes Ehemann. Wissenschaftliche Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass er von Stickern und Stickerinnen in einer professionellen Werkstatt hergestellt wurde. Normalerweise waren solche Werkstätten mit der Herstellung opulenter Kirchentextilien beschäftigt. Umso überraschender ist es also, dass der Teppich selbst aus sehr bescheidenen Materialien besteht: aus Wolle und Leinen. Aber hier liegt der Hund begraben: es wird vermutet, dass er gerade deswegen so lange überlebt hat! Ein Teppich mit Goldfasern und Edelsteinen wäre viel eher im Laufe der Zeit profitabel zerschnitten worden. (…und meine Urli Matilda hätte an dieser Stelle sicher eine christliche Predigt über Bescheidenheit und den Fall eitler Sünder gehalten.)

Auf dem Teppich wird die Eroberung Englands dargestellt – Wilhelms Krönung im Jahr 1066 ist die letzte Szene und befand sich auf jenem Abschnitt, der im Laufe der Zeit verloren ging. Bis heute ist unklar, wo genau der Teppich hergestellt wurde, ob er eine pro-normannische oder pro-angelsächsische Ansicht darstellen soll und wer den Teppich in Auftrag gegeben hat.

Ein Lichtblick in die Vergangenheit

Aber der Teppich ist nicht nur wegen seiner Langlebigkeit und seiner offenen Fragen ein wichtiges historisches Objekt. Für Historiker ist der Teppich eine wahrhaftige Fundgrube im Hinblick auf historische Details: wie wurden damals Schiffe gebaut? Welche Waffen wurden verwendet? Und, am allerwichtigsten: wer trug majestätische Schnurrbärte und wer nicht? Auch der Halleysche Komet, der nur alle 74 bis 79 Jahre von der Erde aus sichtbar ist, wurde hier stick-tiv festgehalten.

Noch zwei spannende Details zum Abschluss:

  1. Es gibt einen eigenen „Bayeux-Stich“, der für diesen Teppich verwendet wurde. Das ist vor allem deswegen interessant, weil dieser Stich sehr „sparsam“ ist und so wenig Faden wie möglich verbraucht. Das deutet darauf hin, dass die professionellen StickerInnen, die an dem Teppich arbeiteten, zuvor mit Goldfaden gearbeitet hatten.
  2. Die Fäden wurden allesamt mit pflanzlichen Farbstoffen gefärbt: Färberresede für gelb, Färberwaid für blau, Färberresede gemischt mit Färberwaid für grün, und Färberkrapp für rot. Aber darüber erzähle ich euch das nächste Mal ein bisserl mehr!

Pfiat euch und passt‘s auf euch auf,
eure Stick-Omi Otti

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